"Zur Drucktechnik von B.K." von Prof. Herbert Kessler - Universität Lüneburg

Nicht nur für den Laien ist es außerordentlich schwierig, aus den fertig gedruckten Bildern dieser Künstlerin Rückschlüsse und Aufschlüsse über die vorliegende Technik zu bekommen. Zwar kennen wir alle aus der Schulzeit den Linoldruck, doch wird uns diese Kenntnis kaum weiterhelfen. Hier glauben wir, gemalte Bilder vor uns zu haben, obwohl, trotz strukturierter Oberfläche, keine Pinselspuren zu erkennen sind. Brigitte Kranich hat, und das kann man ohne Einschränkung sagen, eine spezielle Drucktechnik entwickelt, für die es einen berühmten Ahnen gibt, nämlich Pablo Picasso.

Brigitte Kranich begann dort, wo Picasso aufgehört hatte. Waren die Farbflächen der Linoldrucke Picassos noch monochrom und strukturlos geblieben, so blüht ihre Linolschnitt-Malerei in einer Fülle leuchtender Farben auf und wird so der traditionellen Maltechnik ebenbürtig. Die Künstlerin verwendet dazu nicht die handelsüblichen Linoldruckfarben, sondern Ölfarben bester Qualität. Wenn sie Farben auf die dafür vorgesehenen Flächen aufträgt, ist das für sie kein drucktechnischer Vorgang; sie malt. Ihre Farben werden differenziert aufgetragen. Das erneute Überdrucken ausgewählter Flächen ergibt ein reiches Farbenspiel. Es entstehen lebhafte Strukturen, die die spröde Drucktechnik vergessen lassen. Aber diese Technik hat auch nicht zu unterschätzende Tücken. So kann man nicht beliebig viele Abzüge herstellen. Beim konventionellen Druck von mehreren Druckstöcken aus Linoleum ist eine Auflage von 100-200 Blatt möglich. Bei der Spezialtechnik von Frau Kranich aber ist die Auflage eng begrenzt, weil die gesamte Druckfolge in kürzester Zeit, solange die Farben noch frisch und geschmeidig sind, abgeschlossen sein muß. Die Oberfläche der Platte wird, wie schon beschrieben, Stück um Stück abgetragen. Es muß also sogleich die gesamte Auflage mit dem jeweiligen Zustand der Platte gedruckt werden. Jedes Blatt ist handgedruckt ohne Presse, ein nicht wiederholbares Unikat, weil geringe Farbabweichungen die Regel sind. Gedruckt wird auf ein weiches und saugfähiges Papier, das für Frau Kranich in Japan hergestellt wird. Die Herstellung eines Linoldruckes in Großformat erfordert eine durchgehende Arbeitszeit von etwa 20 Stunden bei einer Auflage von nur 5 - 9 Bättern je Druckstock. Ihre Linoldrucke in traditioneller Technik haben eine Auflage von 50 - 100 Blättern.

Brigitte Kranich liebt das künstlerische Abenteuer: "Bei meinen Drucken weiß ich nie, ob sie gelingen, was dabei entsteht, wer kommt und zusieht, welches Tier im Baum wartet, was das Haus erzählt, ob ein Vogel vorüberfliegt, die Sonne einen Fisch streichelt?..." Die Ziele ihrer Arbeit formulierte Brigitte Kranich so: "Ich möchte versuchen, die Menschen aufmerksam zu machen auf unsere Rest-Natur, sie verzaubern, sie für Augenblicke aus ihrer realen, hektischen Welt in ein irrationales Märchen-Traumland führen, wo die Häuser noch erzählen, die Bäume noch Gesichter haben und man mit dem Vogel über das Land fliegt. Trost für die Einsamen, Freude für die Sehenden".

© by Brigitte Kranich